Zeichnen als Erkenntniscover lutz sterzenbach

Barbara Lutz-Sterzenbach
Epistemische Zeichenszenen: Zeichenszenen als Erkenntnis in der Kunstpädagogik und interdisziplinären Bezugsfeldern
kopaed Verlag 2015
457 Seiten
ISBN 978-3-86736-435-5

 

Wie hängen Zeichnen und Erkenntnisbildung miteinander zusammen? Welche Rolle spielen die zeichnende Hand und die Imagination für den Erkenntnisprozess des Zeichnens?

Diesen Fragen geht Barbara Lutz-Sterzenbach in ihrer Dissertationsschrift nach und stellt die Beziehung von Zeichnung und Erkenntnis aus der Perspektive interdisziplinärer Bezugsfelder dar. Zeichnen beschreibt sie u. a. als einen Wahrnehmungs-, Handlungs- und Darstellungsprozess - als einen Kreislauf des Denkens und Handelns, der Erkenntisoptionen bietet. Gerade die Untersuchungen aus den Bezugsdisziplinen Bildwissenschaft, Kunsttheorie, Neurowissenschaft und Philosophie beleuchten das Zeichnen erfrischend aus verschiedenen Perspektiven.

Erkenntnispotenziale sind, so stellt Barbara Lutz-Sterzenbach fest, nicht allein durch den Verstand und die visuelle Wahrnehmung geprägt. Unterschätzt wurde bislang die Bedeutung des Körpers für den Zeichenprozess, insbesondere die der zeichnenden Hand. Zu wenig beachtet wurde bisher auch die Relevanz der Emotion im Zeichenprozess.

Ausgehend von den gewonnenen Ergebnissen schlägt Barbara Lutz-Sterzenbach eine Brücke zur Kunstdidaktik und zum Kunstunterricht. Sowohl im Schul- als auch im Hochschulkontext untersucht sie "Zeichenszenen" und liefert wertvolle Ergebnisse für eine neue Zeichendidaktik. Den Begriff der "Zeichenszene" übernimmt sie aus der Kunstwissenschaft und schlägt ihn für die Kunstpädagogik vor. Er umfasst im Sinne der Autorin die beiden unterschiedlichen Ebenen:

a) Zeichnen als Koordination von Hand, Stift und Papier und

b) Zeichnen als Verfahren mit einem strukturierten Ablauf sowie kontextspezifischen Ausprägungen

Aus dieser Perspektive ist es möglich zu fragen: "Welche Art von Wissenserwerb ist im Rahmen des gewählten Verfahrens möglich. Wie kann es sich formieren?" (S. 165). Mit einer solchen Beforschung des Zeichnens spielt die jeweilige Zeichendisziplin eine untergeordnete Rolle. – "Zeichenszenen" lassen sich sowohl in der naturwissenschaftlichen Zeichnung, der Kinderzeichnung und der Künstlerzeichnung beobachten und beforschen.

Erkentnisstiftend erweisen sich insbesondere mimetische Aneignungen beim Zeichnen: "Das zeichnende Sich-Annähern an Objekte evoziert Erkenntnisse über Formen, Oberflächen, Texturen, über ihre spezifische Beschaffenheit." (S. 327). Auch serielle Zeichenprozesse können als "Denkprozesse" bereits bei Vorschulkindern identifiziert werden. "Dabei wird das Zeichen für »Mensch« ausdifferenziert und formal weiter geklärt. Diese Klärung erfolgt mittels der Anordnung, Zuordnung und Gewichtung der Linien auf der Zeichenfläche [...] (S. 344 f.). Auch im Hochschulkontext zeigen serielle zeichnerische Annäherungen Erkenntnispotenziale.

So wird mit der Arbeit von Lutz-Sterzenbach auch für den Bereich der Kinderzeichnung ein neues Feld erschlossen. Während sich der Bereich der Kinderzeichnungsforschung in der Vergangenheit schwerpunktmäßig auf die Ontogenese, die Analyse und Klärung der Entwicklung der kindlichen Vorstellungs- und Darstellungsprozesse konzentrierte (vgl. S. 16), bietet sich mit dieser Arbeit ein neuer Zugang an: Erkenntnisstiftende Potenziale können auch in der Kinder- und Jugendzeichnung untersucht werden.

Raphael Spielmann, 2019