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PUNKT, LINIE, FLÄCHE. DIE KINDERZEICHNUNG UND DER EXPRESSIONISMUS
Das Schloßmuseum Murnau widmet sich im Sommer 2021 einem Thema, mit dem sich bereits Wassily Kandinsky, Paul Klee, Pablo Picasso, Asger Jorn und weitere bedeutende Künstler der Klassischen Moderne intensiv auseinandersetzten.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren über die Kreativität von Kindern zahlreiche Publikationen erschienen und es gab einige Ausstellungen zu dieser Thematik. Bereits seit den 1880er-Jahren hatte sich Alfred Lichtwark, erster Direktor der Hamburger Kunsthalle, mit dem Kunstunterricht in Schulen beschäftigt. Zusammen mit dem Pädagogen Carl Götze zeigte er 1898 in der Kunsthalle die Ausstellung „Das Kind als Künstler“. 1922 erschien Gustav Hartlaubs Buch „Der Genius im Kinde. Zeichnungen und Malversuche begabter Kinder“, das auf die Vorbereitungen zur gleichnamigen Ausstellung in der Mannheimer Städtischen Kunsthalle im Frühjahr 1921 zurückging.
Die vermehrte Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung des Kindes erregte früh die Aufmerksamkeit in Künstlerkreisen. Das kindliche Universum, die Parallelität von Fantasiewelt und Realität, die Spontaneität und nicht zuletzt die Unbeschwertheit im Umgang mit Größenverhältnissen und Gesetzen der Schwerkraft sowie das hohe Abstraktionsvermögen, das schon der Schriftsteller Charles Baudelaire bewundert hatte, gaben der expressiven Malerei damals wie heute Impulse.
Die schicksalhafte Bedeutung naiv-kraftvoller Ausdrucksmittel für den niederländischen Maler Constant und die Gruppe Cobra steht in der Ausstellung ebenso im Mittelpunkt, wie es auch um die lebenslangen Auseinandersetzungen und ambivalenten Positionierungen von Paul Klee geht. Arbeiten von Arnulf Rainer und A. R. Penck dokumentieren die Wege und Methoden der nachfolgenden Generation.
Der Titel der Ausstellung lehnt sich an Wassily Kandinskys Titel seiner berühmten theoretischen Schrift „Punkt und Linie zu Fläche“ an. Die 1926 als Band 9 in der Bauhaus-Bücherreihe erschienene Publikation bildete die Grundlage seines Bauhaus-Unterrichts als Pädagoge.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Beiträgen von Pia Dornacher, Isabelle Jansen, Hannah Monyer, Jacopo Galimberti und Heribert Riesenhuber.
Die Ausstellung im Schloßmuseum Murnau findet im Rahmen der Ausstellungsreihe „Avantgarde in Farbe. Blauer Reiter, Brücke, Expressionismus” der MuSeenLandschaft Expressionismus statt, die auch ins Buchheim Museum in Bernried am Starnberger See, ins Franz Marc Museum in Kochel am See, ins Museum Penzberg – Sammlung Campendonk und ins Lenbachhaus in München führen wird (www.museenlandschaft-expressionismus.de).
'DREIDIMENSIONALE KINDERWERKE' ALS BEGRIFF UND BILDSPRACHE
In der Kunstpädagogik wurde die "Kinderzeichnung" lange Zeit emblematisch für alle weiteren Ausdrucks- und Subjektivierungsformen von Kindern verwendet. So betiteln Kirchner/Kirschenmann/Miller (2010) ihren Sammelband zur gleichnamigen Tagung in Augsburg mit "Kinderzeichnung und jugendkultureller Ausdruck" und stellen fest: "Der Begriff 'Kinderzeichnung' schließt alle möglichen Ausdrucksformen des bildnerisch-ästhetischen Verhaltens ein – vom Bauen, Basteln, Sammeln zum digtialen Gestalten und dargstellendem Spiel -, ebenso wie der 'jugendkulturelle Ausdruck' von der Ausstattung des Jugendzimmers über Graffiti zur Mode usw. reicht." (ebd. S. 9).
Die wissenschaftliche Reflexion über 'Kinderzeichnungen' setzt ab 1880 ein (Wittmann 2018) bzw. ab hier kann von einem 'In-Erscheinung-Treten' von Kinderzeichnungen als Phänomen für die Wissenschaft gesprochen werden. Untersuchungsgegenstand sind zu diesem Zeitpunkt vor allem 'Zeichnungen'. Aus diesem traditionellen Verständnis heraus etablierte sich über Jahrzehnte hinweg eine Wissenschaftspraxis, die in den unterschiedlichen Diskursen und Disziplinen mit dem Begriff der 'Kinderzeichnung' operierte. Programmatisch hierfür steht die Publikation von Richter (1997) "Die Kinderzeichnung: Entwicklung, Interpretation, Ästhetik" und in Anlehnung daran auch der oben genannte Tagungsband.
Aktuelle Studien zu kindlichen Bildprozessen befassen sich zunehmend auch mit anderen Formen als derjenigen der Zeichnung. Offener und unter Bezugnahme auf den 'Bildbegriff' formulieren Schulz/Seumel (2013) den Titel ihres Tagungsbands, der zwar an die Augsburger Tagung anknüpft, aber den Begriff der Kinderzeichnung durch 'Bildsprache' ersetzt: "U20 - Kindheit Jugend Bildsprache". So wie der erweiterte Bildbegriff alle visuellen Erscheinungen vom Gemälde bis zur Performance umfasst, können unter 'bildsprachlichen Äußerungen' von Kindern und Jugendlichen alle bildnerischen Prozesse und Manifestationen gedacht und näher bezeichnet werden. – Für den Bereich des Bastelns und Bauens identifizieren Martinetti/Spielmann (2021) noch begriffliche Unschärfen sowie ein Desiderat in der kunstpädagogischen Forschung und unternehmen den Vorschlag für eine neue Bezeichnung. Sie sprechen von "dreidimensionalen Kinderwerken" (ebd.). Die Abbildung rechts zeigt ein als 3D-Ansicht archiviertes Kinderwerk. Ein Klick darauf öffnet diese auf der Online-Plattform Sketchfab.com.
Raphael Spielmann
Literatur
Kirchner, Constanze/Kirschenmann, Joahnnes/Miller, Monika (2010): Kinderzeichung und jugendkultureller Ausdruck. Forschungsstand – Forschungsperspektiven. München: kopaed.
Martinetti, Theresa/Spielmann, Raphael (2021): 3D-Ansichten als neues Medium der Archivierung und Datenerhebung dreidimensionaler Kinderwerke im Rahmen eines forschenden Studierens. In: BDK-Mitteilungen 3/2021.
Schulz, Frank/Seumel, Ines (2013) (Hg): U20 – Kindheit Jugend Bildsprache. München: kopaed.
Wittmann, Barbara (2018): Bedeutungsvolle Kritzeleien. Eine Kultur- und Wissensgeschichte der Kinderzeichnung, 1500–1950. Zürich: Diaphenes.
ALLES ANDERS
Kunst-Aktion für Kinder und Jugendliche von Prof. Dr. Lutz Schäfer, PH Karlsruhe
Wie hat sich dein Leben seit Corona verändert? Was hast du neu entdeckt? Zu diesen Leitfragen hat das Institut für Kunst der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe Anfang April 2020 die Kunst-Aktion „Alles anders“ ins Leben gerufen. Kinder und Jugendliche waren aufgefordert, mit Farbe, Stiften, Fotos oder Filmen ein Bild ihres neuen Lebens zu machen. Einsendeschluss war der 20. Mai. Über 30 Arbeiten hat Prof. Dr. Lutz Schäfer, Leiter des Instituts für Kunst, nach und nach als "Bild des Tages" ausgesucht. Zu sehen sind sie hier in einer Online-Ausstellung.
Philipp (12 Jahre): Corona-Monster
Lutz Schäfer: „Ab einem Alter von etwa zwölf Jahren bilden sich bei vielen Jugendlichen realitätsnahe Bildkonzepte aus, die auch expressive oder surreale Tendenzen haben können. Inspiriert werden diese häufig durch Bilder der Massenmedien wie Comics oder Cartoons. Die Darstellung der Augen zeigt, dass Philipp hier genau hingeschaut hat. Die alarmierende Farbgebung des Monsters und seine angsteinflößende Größe haben einen deutlich expressiven Charakter. Aus Kunstgeschichte und Comics bekannt ist auch die Strategie des Surrealen, wenn Unwirkliches oder Phantastisches erschaffen werden. Philipp beseelt und ‚vermenschlicht‘ seinen Virus und strebt dabei eine realitätsnahe Darstellung an, wie man an den Fingernägeln und Zähnen besonders gut erkennen kann. So zeigt er mit seinem Bild beeindruckend, dass man ohne Text durch Übertreibung und Verfremdung ausdrucksstarke Botschaften senden kann.“
BILDERWELTEN VON KINDERN IM WWW
Kinder hinterlassen ihre Zeichen im Alltag überall und Erwachsene streuen diese gelegentlich auch in das World Wide Web. Der bildkulturelle Umgang mit Kinderzeichnungen im www ist lebendig. Zahlreiche Kinderzeichnungen werden dort für verschiedene Zwecke öffentlich zugänglich gemacht und können frei betrachtet werden. Eine Ressource an Kinderzeichnungen und ein Bildumgang, der auch für die Kinderzeichnungsforschung interessant sein könnte: Im besten Fall werden diese Kinderzeichnungen archiviert und landen nicht im (digitalen) Papierkorb. In einer Zeit, in der die Archivierungen von Kinderzeichnungen, trotz intensiver Bemühungen einzelner (siehe Links > Archive), noch in den Kinderschuhen steckt, scheint es sinnvoll, Links, unter denen Kinderzeichnungen veröffentlicht sind, zu sammeln (siehe Links > Kinderzeichnungen im www). Abbildung rechts: Kinderzeichnung von Erwachsenen als digitale Fotoarbeit auf Instagram umgesetzt.
"Kinderzeichnungen dürfen kein Schattendasein fristen. Sie gehören zu unserem Bildgedächtnis."
Anna Lehninger (Pestalozzianum), Zürcher Zeitung
Theresa Martinetti
GEZEICHNET. DIE «BUCHENWALDKINDER» AUF DEM ZUGERBERG
Ausstellung Burg Zug
Ausstellung Museum Burg Zug > Archiv 2019
21. November 2018 bis 31. März 2019
Forschungsprojekt Institute for the Performing Arts and Film (IPF) Zürich
Manuel Fabritz, Zürcher Hochschule der Künste (hdk)
Das auf dem Zugerberg gelegene Jugendheim "Felsenegg", das heutige Institut Montana, diente im Sommer 1945 als Aufenthaltsort für Kinder und Jugendliche, die aus dem befreiten Konzentrationslager Buchenwald vom Schweizerischen Roten Kreuz zur Erholung in die Schweiz gebracht wurden. Um einen Teil dieser Geschichte einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, werden die Spuren dieser sogenannten "Buchenwaldkinder" in der Ausstellung «Gezeichnet» im Museum Burg Zug gezeigt.
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